Bei Events, die ich mit Graphic Recording begleite und in Seminaren und Workshops, die ich zum Thema „Inhalte in Bilder übersetzen“ halte, aber auch, wenn ich irgendwo neue Leute kennenlerne, passiert es immer wieder. Wenn ich sage, dass ich beruflich zeichne und anderen dabei helfe Ihre Themen so aufzubereiten, dass sie beim Zielpublikum ankommen, kommt die Frage: „Wie wird man eigentlich Inhalte-in-Bilder-Übersetzerin?“.
Leute, die mich heute zeichnen sehen, vermuten in der Regel, dass ich etwas künstlerisches gelernt habe. Wenn schon nicht angewandte oder bildende Kunst an der Universität, dann doch wohl zumindest irgendeine Form von Illustration oder Grafik. Und das wollte ich eigentlich auch. Es gab da aber ein Problem. Drei Probleme um genau zu sein. Und alle drei schienen meinem jüngeren ich in Stein gemeißelte Tatsachen zu sein an denen ich nichts ändern kann.
Kennt ihr eines dieser Kinder, die von klein auf zeichnen und jede freie Minute mit einem Stift in der Hand über ein Papier gebeugt sind? Jene kleinen Wunder-Menschen, die schon als Teenager Perspektive wie von selbst beherrschen, Dinge so realistisch zeichnen können, dass man glauben könnte es handelt sich um ein Foto oder stolz ihre lustigen Comics in der Schule und Famiele verteilen? Ich bewundere diese kleinen Genies, war aber selbst nie eines davon. Nichtmal fast.
Ich habe zwar immer gerne gezeichnet, aber diese Bilder nie als besonders gut empfunden oder mit anderen geteilt. An meiner Schule (eine öffentliche Schule mit natur-wissenschafltichem Schwerpunkt) gab es ein paar Ausnahmetalente was das Zeichnen anging - ich hingegen bin weder in der Schule noch in meiner Familie künstlerisch sonderlich aufgefallen. Ich gehörte zu einer Spezies, die aus unerfindlichen Gründen weit weniger populär war: ich war eines der Kinder (ja, es gibt sie), die Mathematik mochten. Und Zeichnen. Und Katzen. Eine Kombination (ich beziehe mich auf Mathematik und Zeichnen), die sich in Zukunft als hilfreich herausstellen sollte, die aber in meiner Kindheit bei niemandem (und schon gar nicht bei mir) den Verdacht aufkommen lies „Oh, das Kind ist eine Künstlerin!“. Ich mein, wer hat schon von Künstler:innen gehört, die Mathematik mögen? Ich bitte euch...
Als es dann darum ging zu überlegen, was ich nach der Schule machen möchte, folgte aus Problem Nummer 1 zwangsläufig Problem Nummer 2: Ich hatte Angst, den Aufnahme-Test an der Kunst-Schule nicht zu bestehen. Heute würde ich mir denken, ich kann nur rausfinden, ob ich es schaffe, wenn ich es probiere und ich würde mich einfach mal bewerben um zu schauen, was passiert.
Damals jedoch fand ich den Gedanken furchtbar von Expert:innen bewertet zu werden, die dann (meiner persönlichen Einschätzung nach mit hoher Wahrscheinlichkeit) zu dem Schluss kommen würden, ich sei nicht gut genug für ihre ehrwürdigen Hallen. Damit wäre es dann ein für alle mal geklärt: Ich habe kein Talent. Schwarz auf Weiß. Pech gehabt.
Zu den Selbstzweifeln kam noch hinzu, dass ich wusste, dass ich nach Abschluss der Schule auf mich selbst gestellt sein werde. Meine Mutter war alleinerziehend. Ohne dass wir je darüber gesprochen haben war mir klar, dass ich nach Abschluss meiner Ausbildung einen Job brauchen werde, der meine Miete zahlt, mein Essen und meine Kleidung. Und mit dem ich eines Tages auch eine Familie gründen kann, ohne von meinem Partner abhängig zu sein.
Ich hatte keine Vorbilder in meinem Umfeld, die im Kreativ-Bereich tätig waren. Als Teenager konnte ich mir daher beim besten Willen nicht vorstellen, wie ich meinen Lebensunterhalt mit Zeichnen verdienen soll. Selbst, wenn mich die fancy Kunst-Uni genommen hätte.
So begrub ich meinen Traum fürs Erste. Und es schien mir damals kein großes Opfer zu sein. Das Kunststudium war nichts, das mir jemand hätte ausreden müssen. In einer wirklichen Welt mit wirklichen Problemen - so war ich mit 18 Jahren überzeugt - ist das Zeichnen von hübschen Bildern Menschen vorbehalten, die sich keine Sorge um ihre Miete machen müssen.
Graphic Recording und die Arbeit, die ich heute als Selbstständige mache, existierten damals als Beruf noch nicht. Und über die bereits damals mögliche und existierende berufliche Realität von Grafik-Designer:innen, Illustrator:innen oder Motion Designer:innen, wusste ich nichts. Und ich hätte auch nicht gewusst, wen ich danach fragen soll.
So wählte ich ein Studium, das meiner Meinung nach die vernünftige Wahl war und dafür sorgen würde, dass ich auf jeden Fall meine Miete zahlen kann: Wirtschaft. Denn - so dachte ich - damit kriegt man immer einen Job. Was ja auch nicht ganz verkehrt ist...
So landete ich mit 18 an der Wirtschaftsuniversität in Wien (und für ein Semester in London), wo ich mich auf Marketing-Management, Werbewissenschaft und Marktforschung spezialisiert habe. Ich habe Marketing gewählt, weil ich dachte, ich werde etwas darüber lernen, wie man Plakate und Werbeanzeigen gestaltet. Ich dachte ich würde die versteckten Tricks lernen, die Fernseh-Werbespots nutzen um die Konsument:inenn von einem Produkt zu überzeugen. Ich hätte besser recherchieren sollen. 🙂
In meinen vier Jahren Studium habe ich nichts über Farb-Psychologie, Storytelling oder Bild-Komposition gelernt (dafür hätte ich mich dann wie sich rausstellte doch bei der Kunst-Uni bewerben sollen). Was ich stattdessen gelernt habe, war Unternehmens-Abläufe besser zu verstehen. Ich las, diskutierte und hörte Vorlesungen über Buchhaltung, Controlling, Recht, Personalführung, Wirtschaftsgeschichte und über Statistik. Sehr viel Statistik. Doch - ihr erinnert euch - ich mag Zahlen. Ich fand das Auswerten von großen Zahlenmengen nicht nur spannend, sondern auch fordernd für meine Kreativität.
Die Marktforschung führte mich in die Welt der Statistik und nach Abschluss meines Studiums, bin ich bei einem IT Unternehmen gelandet, wo ich mehrere Jahre damit verbracht habe Firmenkund:innen aus den verschiedensten Branchen dabei zu helfen, Ihre Zahlen zu sortieren. Konkret hieß das: ich habe Kurse gegeben und Controller:innen, Buchhalter:innen und Manager:innen dabei geholfen Ordnung in Ihre Zahlen zu bringen. Das Ziel: große Zahlenhaufen in übersichtliche Tabellen einzusortieren, um sie dann mathematisch korrekt und möglichst automatisch auszuwerten und aus ihnen Schlüsse ziehen zu können.
Seminare zu halten war großartig. Ich habe viel über die Arbeit mit Gruppen gelernt, begonnen beim Vortragen intensiv mit Flipcharts zu arbeiten und festgestellt, dass das visuelle Zusammenfassen von komplexen Inhalten den Teilnehmer:innen immens dabei hilft, auch die komplexesten Formeln und Strukturen zu verstehen und auf ihre Arbeit in der Praxis zu übertragen.
Da gute Seminare nicht nur fachliche Skills erfordern, sondern dem:der Trainer:in auch so einiges im Bereich Didaktik und im Umgang mit Gruppen abverlangen, habe ich parallel zu meiner Arbeit viele Weiterbildungen absolviert. Vor allem die Train-the-trainer und Coaching-Ausbildungen haben mir persönlich viel gebracht, denn was ich damals noch nicht wusste: für den Schritt in die Selbständigkeit würde ich neben fachlichen Skills auch lernen müssen, die richtigen Fragen zu stellen und meinen Kund:innen gut zuzuhören.
Doch zurück zu den Seminaren: meine Flipcharts machten die Runde. Nach jedem Workshop habe ich ein Flipchart-Protokoll erstellt und dieses an meine Teilnehmer:innen und Auftraggeber:innen geschickt. Diese fanden Gefallen daran und bald schon wurde ich gebeten Flipchart-Design-Kurse für meine Trainer-Kolleg:innen zu halten. Ich glaube das war der Moment wo ich zum ersten Mal dachte „Ha, vielleicht kann ich doch noch beruflich etwas mit meinen Zeichenkünsten anfangen!“
Bei den Kursen für die Kolleg:innen blieb es nicht. Irgendwann fingen auch meine Seminar- Teilnehmer:innen an mich zu fragen, ob ich nicht auch bei anderen Veranstaltungen mitzeichnen kann, um die Inhalte visuell festzuhalten. Ich fand, dass das ganz lustig klingt und habe voller Begeisterung „Ja, klar!“ gesagt. Ohne zu ahnen, dass ich dadurch schon bald einen ganz neuen Weg einschlagen werde. Oder, dass dieses „Mitzeichnen“ eine neue Methode ist, die in Amerika gerade under den Namen „Graphic Recording“ auf dem Vormarsch ist.
So zeichnete ich ab und an bei Events. Bei jeder Veranstaltung wurde meine Arbeit von neuen Menschen gesehen. Es kamen mehr Anfragen. Mit jeder neuen Anfrage wuchs meine Sicherheit, dass ich da etwas auf der Spur war. Ich begann mich zum ersten Mal nach der Schulzeit wieder intensiv mit dem Zeichnen auseinanderzusetzen. Bald nach den ersten Graphic Recordings folgten die Anfragen zu Erklärvideos: „Kannst du nicht einfach eine Kamera laufen lassen, während du mitzeichnest?“. Ganz so einfach war es nicht, aber ich war so motiviert wie ein Kleinkind, dem man die Tür zu einem Raum voller Luftballons und lauter Tanzmusik öffnet; mit Trampolins und Konfetti-Regen; und einem Bällebad; und Baby-Kätzchen... Das war genau das, was ich machen wollte! Nicht die Kätzchen - das Zeichnen und Gestalten von Videos um andere dabei zu unterstützen komplexe Inhalte in Bilder zu übersetzen. Plötzlich ergaben all meine komischen und bisher willkürlich zusammengewürfelt wirkenden Fähigkeiten Sinn. Ich stützte mich mit offenen Armen in die Selbständigkeit und damit ein neues großes Abenteuer.
Ja, so war das. Rückblickend glaube ich, ich hatte viel Glück. Viel Glück, dass meine Arbeit auf Interesse gestoßen ist. Viel Glück, dass interessierte Kund:innen mir durch ihre Anfragen die Tür in die Welt des Graphic Recording und der Erklärvideos geöffnet haben. Viel Glück, dass ich so fleißig weiterempfohlen wurde. Viel Glück, dass alle Wege und Abwege sich irgendwann zu einem großen Ganzen gefügt haben.
Damit will ich nicht sagen, dass ich keinen Beitrag dazu geleistet habe. Ich habe Nächte durchgearbeitet, viele schwierige Situationen überwinden müssen, an meinen Fähigkeiten gearbeitet und immer wieder Neues gelernt. Ich habe mich bemüht. Um meine Kund:innen und um meine Projekte. Aber es liegt nicht alles in unserer Hand. Und für den Teil, der nicht in meiner Hand liegt bin ich dankbar. Sehr sogar.
Ich glaube, man kann sowieso nicht alles planen. Ich muss oft an die Rede denken, die Steve Jobs vor vielen Jahren für die Abschlussklasse einer amerikanischen Elite-Universität gehalten hat (das Video dazu findet ihr hier). Er spricht davon, dass man erst rückblickend die Punkte verbinden kann („connecting the dots“).
Ich würde sagen, man kann beim Losgehen nur einen Kompass einpacken, aber keine Landkarte. Auf einer Landkarte würde man schon im vorhinein das Ziel klar und deutlich festlegen können. Auf einer Landkarte wären die Schluchten und Berge am Weg zum Ziel ersichtlich. Man wüsste, was auf einen zukommt und könnte sich darauf einstellen oder die Stolperfallen sogar umgehen. Ich glaube, dass das so nicht funktioniert. Es gibt keine Landkarte, die einem alles im vorhinein sagt. Manchmal würde ich mir so eine Landkarte zwar wünschen, aber irgendwie wäre die Reise wohl auch viel langweiliger mit ihr.
Ich glaube, was wir haben, ist ein Kompass. Ein Gefühl welche Richtung für uns selbst die richtige ist. Eine Ahnung davon, welche Tür jene ist, durch die man gehen will. Auch wenn man noch nicht weiß wieso. Und dann muss man mutig sein und sich auf den Weg machen. Und hinfallen. Und aufstehen. Und hoffen, dass man auf dem Weg Menschen begegnet, die einem unterstützen. Die einen anfeuern, wenn einem die Puste ausgeht. Die Ab und an ein Steinchen aus dem Weg räumen. Die einem den Weg zu einer Brücke zeigen, wenn man vor einem reißenden Fluss steht oder ein Handtuch bereit halten, wenn man die Brücke nicht gefunden, aber das andere Ufer dennoch schwimmend und keuchend erreicht hat.
Danke an alle meine Tür-öffner, Mut-Zusprecher, Steinchen-Wegräumer, Weg-Zeiger und Handtuch-Provider. Ohne euch wäre ich heute nicht da wo ich bin und die Reise wäre nicht die selbe gewesen.
In den Sinne: Auf die nächsten Etappen und Abenteuer - mein Kompass ist bereit und ich habe da so ein Gefühl wo es hingehen könnte...